- Notizen
Wie lebt der Rothirsch im Mittelland?
01.09.2023
Notiz
Die HAFL ist an einem BAFU-Projekt beteiligt, das das Verhalten der Rothirsche im Mittelland untersucht. 15 besenderte Tier geben Einblick in teilweise grosse Wanderdistanzen. Die Untersuchungen sollen datenbasierte Kartengrundlagen liefern, um den Zustand und das Potenzial der Lebensraumvernetzung von Rothirschen im Mittelland zu beurteilen und gegebenenfalls Massnahmen zur Erhaltung, Aufwertung oder Wiederherstellung von Korridoren zu ergreifen.
Schweiz Z Forstwesen 174 (s1): s48-s49.https://doi.org/10.3188/szf.2023.s0048
* Länggasse 85, CH-3052 Zollikofen, E-Mail christian.willisch@bfh.ch
Der Rothirsch (Cervus elaphus) wurde in der Schweiz einst ausgerottet. Seit dem späten 19. Jahrhundert hat die Zahl der Rothirsche wieder zugenommen. Auch räumlich haben sich die Tiere ausgebreitet. In den bewaldeten Regionen der Alpen und der Voralpen und im südlichen Jura sind Rothirsche heutzutage wieder flächendeckend vertreten. Seit rund zwei Jahrzehnten stossen sie auch ins tiefer gelegene Mittelland vor (Signer & Willisch 2021). Inzwischen haben sie sich vielerorts in dieser intensiv von Menschen genutzten und stark fragmentierten Landschaft niedergelassen. Das Wissen zur Ökologie von Rothirschen in Berggebieten lässt sich allerdings nicht einfach auf das Mittelland übertragen, weshalb die Kenntnisse über das Verhalten der Rothirsche in dieser Landschaft begrenzt sind (Willisch 2016).
Das BAFU hat 2019 ein Forschungsprojekt gestartet, um die Verbreitung, die Raum- und Habitatnutzung sowie die Konnektivität der Rothirsche im Mittelland zu erforschen. Die Hochschule für Landschaft, Technik und Architektur Genf (HEPIA), die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und die HAFL führen die Untersuchungen in verschiedenen Regionen durch. Das Hauptziel ist es, den Behörden datenbasierte Kartengrundlagen zur Verfügung zu stellen, um den Zustand und das Potenzial der Lebensraumvernetzung von Rothirschen im Mittelland zu beurteilen und gegebenenfalls Massnahmen zur Erhaltung, Aufwertung oder Wiederherstellung von Korridoren zu ergreifen.
15 Rothirsche besendert
In den Kantonen Bern, Solothurn und Aargau werden durch die HAFL die Aufenthaltsorte und Bewegungen von Rothirschen mittels GPS-Telemetrie erfasst (Abbildung 1). Dazu wurden von 2020 bis 2023 15 Rothirsche eingefangen und mit GPS-Halsbändern ausgestattet – dies in Zusammenarbeit mit den zuständigen Jagdbehörden, Wildhütern, Jägerinnen und dem Zentrum für Fisch- und Wildtierkrankheiten (FIWI) der Universität Bern. Nach ein bis zwei Jahren lösen sich die Halsbänder per Drop-off ab und werden wieder eingesammelt.

Vorläufige Daten und Erkenntnisse
Die vorläufigen Daten belegen, dass die besenderten Rothirsche im Mittelland sehr weitläufig unterwegs sind und saisonale Einstandswechsel vollziehen, zum Teil bis ins südlich gelegene Emmental (Abbildung 2). Ein Tier, das im Winter 2023 im Kanton Aargau besendert worden ist, ist innert weniger Tage sogar bis an den Pilatus gewandert.
Tagsüber halten sich die Rothirsche im Mittelland vorwiegend im Wald auf, wo sie einen guten Sichtschutz vorfinden. Einige Tiere können im Sommer und Herbst aber auch Zuflucht in hohen landwirtschaftlichen Kulturen wie Mais oder Raps suchen. In der Nacht verlassen die Rothirsche ihre Deckung, um zu äsen oder weiterzuziehen. Im Schutz der Dunkelheit können sie grosse waldfreie Flächen, Strassen und Bahnlinien queren, sofern diese nicht durch hohe Zäune abgesperrt sind.
Noch nicht abschliessend geklärt ist, welche Routen für die Einstandswechsel der Rothirsche besonders geeignet sind und von welchen Lebensraumfaktoren dies abhängt. Die beachtliche Variation im räumlichen Verhalten der Tiere lässt jedoch vermuten, dass sie in der Lage sind, mit unterschiedlichen Umweltbedingungen zurechtzukommen.

Auch studentische Arbeiten
Im Rahmen des Rothirsch-Projekts werden an der HAFL in Zusammenarbeit mit der WSL ebenfalls studentische Arbeiten im Bereich der Wald-Wild-Thematik durchgeführt. Einige davon sind bereits abgeschlossen. In Tageseinständen von Rothirschen wurden etwa wissenschaftliche Untersuchungen zur Waldstruktur (als Sichtschutz für die Tiere) oder zum Wildeinfluss auf die Baumverjüngung im Mittelland durchgeführt. Eine aktuelle Bachelorarbeit sucht mittels Videoaufnahmen nach den Urhebern des Wildverbisses an Verjüngungsflächen.
Ausblick
Aktuell werden die Telemetriedaten der besenderten Rothirsche analysiert. Berücksichtigt werden dabei ebenfalls Daten aus anderen Untersuchungsgebieten im Mittelland, die von der HEPIA und der ZHAW erhoben worden sind. Der gemeinsame Schlussbericht ist für Ende November 2023 geplant.
Literatur
Rothirsch. In: Graf RF Fischer C (eds) Atlas der Säugetiere. Schweiz und Liechtenstein. Schweizerische Gesellschaft für Wildtierbiologie. Bern: Haupt Verlag. p 306–309.
Rothirsche im Mittelland - eine Rückkehr mit Überraschungen. Fauna Focus 25: 1-12.